Mittwoch, 18. März 2015

Grenzgang von Stephan Thome

Und gleich nochmals Stephan Thome: Er kann es doch, eine Frauenfigur erstehen lassen, und dann auch noch Kerstin Werner, die gerade ihre wahrscheinlich glücklichsten Jahre hinter sich gelassen hat. Sie pflegt ihre demenzkranke Mutter, der Sohn pubertiert und der Mann hat sie wegen einer jüngeren Frau verlassen. Sie lebt als Hausfrau in der Provinz, für die sie eigentlich zu schön ist und zu klug und in der sie ihre Träume auch gleich begraben hat. Wem begegnet sie?
Thomas Weidmann ist der glücklose Gegenpart von Hartmut Hainbach aus Fliehkräfte, verloren im eigenen Leben, seine Karriere als Philosophieprofessor gescheitert, nun Lehrer am Provinzgymnasium, ab und zu eine Internetbekanntschaft. Thomas Weidmann ist distanziert und zynisch und hängt an seinem Versagen. Interesse bringt er nur auf für lange Waldspaziergänge und der Reflexion seiner verschenkten beruflichen Möglichkeiten.
Nun wird in Bergenstadt alle sieben Jahre Grenzgang gefeiert, ein mehrtägiges Fest mit viel Alkohol, das auch zu persönlichen Grenzgängen ermuntert. In der Wiederkehr des Festes, in das sie nie eintauchen, sondern immer distanziert beobachten, werden die persönlichen Situationen der Hauptfiguren gespiegelt: Erste Liebe, kleines Kind, Betrug, Neuanfang, Rückkehr des Sohnes.
Stephan Thome nimmt sich Zeit, die Geschichte zu erzählen und legt, bis auf die - wahrlich überflüssige Beschreibung des Swingerclubbesuchs - unterhaltsame "Provinzliteratur" vor.