Montag, 2. Juni 2014

Lieben von Karl Ove Knausgård

Obwohl ich grossartig angekündigt habe, es nicht zu tun, habe ich es doch gelesen: "Lieben" auf deutsch, Originaltitel „Min Kamp 2", 763 weitere Seiten vom selbstverliebten Karl Ove Knausgård (das Titelbild war so schön). "Lieben" ist auf jeden Fall besser als "Sterben",  wenn auch eine solch ausschweifende Beschreibung des Haderns mit Hausarbeiten bei jeder Frau nur müdes Schulterzucken hervorgerufen hätte: Überlassen wir dem heroischen Mann das Podest, der sich beim Abspülen und Windelwechseln nach seiner wahren Bestimmung sehnt und uns das ausführlichst mitteilt. Lesbar ist es, vergnüglicher auch als "Sterben" und auf die restlichen vier Bände von "Min Kamp" kann man nun tatsächlich getrost verzichten.

Dienstag, 6. Mai 2014

Vor dem Fest von Saša Stanišićs

"Vor dem Fest", ein Buch, das die Feuil­le­to­nisten aufschreien lässt vor Begeisterung, ist alles in einem: Heimatgeschichte, Fabel, Charakterstudie eines Dorfes, Elegie, Jugendroman und fantastische Unterhaltung. Saša Stanišićs beschreibt Menschen, mit ihren ganz speziellen Charakteren, wie sie nur auf dem Nährmedium eines kleinen Dorfes -im Buch das fiktive uckermärkische Fürstenfelde - und dessen Duldsamkeit und gefühlter Zusammengehörigkeit gedeihen können: Der Fährmann, den es nicht mehr gibt; Herr Schramm, erst NVA, jetzt Rentner; Anna Kranz, Malerin,  deren Sujets ausschliesslich aus Fürstenfelde kommen; Frau Schwermuth, Chronistin, Archivarin und psychisch labil, Johann, ihr 16-jähriger Sohn, Azubi im Einzelhandel und Nachwuchsglöckner, Herr Ditzsche, Rassehuhnzüchter mit Stasivergangenheit, Anna.
"Vor dem Fest" ist eine Schatztruhe mit Sätzen zum Niederknien: Entdeckt sie selbst!

http://fürstenfelde.de/
http://www.zeit.de/2014/11/sasa-stanisic-vor-dem-fest-roman
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur/jeder-ort-ist-heimat-1.18261461 
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/sasa-stanisic-vor-dem-fest-a-955575.html


Dienstag, 15. April 2014

Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes

Heute geht es in etwas seichtere Gewässer: "Ein ganzes halbes Jahr" ist im wahren Wortsinn ein Schmöker, laut Duden ein dickeres, inhaltlich weniger anspruchsvolles Buch, das die Lesenden oft in besonderer Weise fesselt.
Also, der Inhalt: Eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen, gerade die Arbeit verloren und unglücklich verliebt, aber mit einer lustigen und offenen Persönlichkeit, nimmt einen Job als "Gesellschafterin" eines nach einem Unfall verbitterten und zynischen Tetraplegikers an, Sohn sehr reicher Eltern. Und was so vorhersehbar ist, passiert, sie verliebt sich selbstlos in ihn und setzt alles daran, um ihn glücklich zu machen, er mag sie, lässt sich allerdings nicht von seinem Entschluss abbringen. Er profitiert von ihrer Direktheit und ihren Emotionen, sie profitiert von seinem Reichtum.
Also ein Buch vielleicht für den Strand, wenn die Sonne einen schon dösig gemacht hat, oder für eine sehr lange Zugfahrt, aber keine Leseempfehlung dieses Blogs.

Montag, 14. April 2014

Frühmorgens, abends oder nachts von Yasmina Reza

Wegen meiner jüngsten Begeisterung für Yasmina Reza habe ich gleich noch ein weiteres Buch von ihr gelesen: Frühmorgens abends oder nachts entstand, während Yasmina Reza ein Jahr lang Nicolas Sarkozy im Wahlkampf begleitet hat. Und -wow-, dass Sarkozy diesem Projekt zugestimmt hat, ist wirklich bewundernswert. "Selbst wenn Sie mich verreissen, wird es zu meinem Ruhm sein", soll er anscheinend gesagt haben, zu Recht. Entstanden ist eine Mischung aus biographischen und autobiographischen Notizen, welche durch Rezas gewohnt scharfer und unnachgiebiger Beobachtung und ihre pointierte Art, diese niederzuschreiben, geprägt sind.
Interessant auch das FAZ Interview dazu: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fruehmorgens-abends-oder-nachts-welche-rolle-spielt-nicolas-sarkozy-madame-reza-1514145-p2.html.

Sonntag, 6. April 2014

Glücklich die Glücklichen von Yasmina Reza

Wer das Theaterstück "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza gesehen hat (zum Beispiel die Uraufführung am 2. Dezember 2006  im Schauspielhaus Zürich oder die Verfilmung von Roman Polański) erwartet pointierte, scharfe Dialoge, die Beziehungen der Erwachsenen, vor allem Ehen, bis in die letzten Ecken ausleuchten. Und wird nicht enttäuscht werden. "Glücklich die Glücklichen" sind 21 kurze Geschichten von Personen, die durch enge oder lose Beziehungen miteinander verbunden sind. Es werden meist banale Situationen geschildert, im Supermarkt, im Wartezimmer, beim Einkaufen, doch durch die Dialoge und Beobachtungen wird das ganze Innenleben der Figuren schonungslos aufgedeckt.

"Und warum nur denke ich in dem Moment, als ich das sage, an die Hutners, ein befreundetes Paar, das sich, koste es, was es wolle, im ehelichen Wohlergehen eingerichtet hat, sie nennen einander neuerdings "mein Herz" und sagen Sätze à la "Heute Abend essen wir was Schönes, mein Herz". Ich weiss nicht, warum mir die Hutners einfallen, wo mich gerade ein ganz entgegengesetzter Zorn erfüllt, aber vielleicht besteht gar kein so grosser Unterschied zwischen Heute Abend essen wir was Schönes, mein Herz und Ich zähle bis drei, Odile, in beiden Fällen liegt eine Art Wesensverengung vor, damit man die Zweisamkeit erträgt, eine natürlichere Harmonie kann es nicht geben als in dem Essen wir was Schönes, mein Herz...."

Sonntag, 23. März 2014

Sterben von Karl Ove Knausgård

Die Kinder amüsieren sich ja immer über die Buchtitel der Bücher, die ich lese. "Das Zimmer" (Andreas Maier) oder "Der Hals der Giraffe" (Judith Schalanski), nun also: "Sterben". "Sterben" ist mit fast 600 Seiten der erste Teil des sechsteiligen Romanprojekts "min Kamp", in welchem Karl Ove Knausgård obsessiv deskriptiv sein männliches Leben ausbreitet. In diesem ersten Teil stirbt der übermächtige Vater. Das ganze Buch dreht sich um das schwierige Verhältnis zum und um die Belastung durch diesen autoritären Vater, aber man dringt nur sehr sporadisch zum eigentlichen psychologischen Kern dieses Hasses vor. Mutter, Schwester und Ehefrauen bleiben Randfiguren.
Das Romanprojekt ist in Schweden sehr erfolgreich, wegen der "radikalen Authentizität", aber, nun ja, schonungslos eine Menge meist banaler Details aus seinem Leben zu veröffentlichen, ist das schon Literatur?

Sonntag, 9. März 2014

Eine Nacht, Markowitz von Ayelet Gundar-Goshen

"Manchmal ist das Merkwürdigste an einem Buch die Frage, warum es geschrieben wurde" - die FAZ Rezension beschreibt den Roman treffend. In dem Roman "Eine Nacht, Markowitz" geht es um die Ehe und um den Krieg und um den Krieg in der Ehe. Die Ehe des Protagonisten gleicht einer Belagerung (Jakob Markowitz und Bella), die Ehe seines besten Freundes, dem lebensfreudigen Schnauzbarts, ist eine leidenschaftliche Schlacht und endet fast durch eine Kriegserinnerung (Seev Feinberg und Sonia). Viele Ehen werden durch die während der Shoa nach Europa Gesandten  geschlossen und gleich wieder geschieden.
Die Figuren bleiben den ihnen zugeschriebenen Bildern treu und zeigen kein Innenleben, die Dramen, die sich ereignen, berühren dadurch nicht. Wie es in der FAZ Rezension beschrieben wird: "Nein, das ist kein richtig schlechtes Buch, es hat zwar manche Längen und eine schauerlich unbalancierte Dramaturgie, ist aber oft rührend, bildhaft und auf altmodische Weise poetisch."
Leseempfehlung: Kann man lesen, muss man nicht.

Montag, 3. März 2014

Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf

Dem inneren Verfall, dem Orientierungsverlust, der Epilepsie und der Depersonalisation, durch das wachsende Glioblastom stetig fortschreitend, stellt Wolfgang Herrndorf eine äussere Ordnung -Arbeit und Struktur- entgegen. Skeptisch, ob ein als Buch gedruckter Blog funktioniert, musste ich feststellen, dass es, nein, nicht die Sensationslust ist, die einen fesselt, sondern Herrndrofs nüchtern-lakonische Beschreibung seiner Krankheit, seiner Ausfälle, seiner Todesnähe und trotzdem der unendlichen Sehnsucht nach dem Leben und ja, es funktioniert nicht nur, es ist schöne! Literatur!

20.12.2011 13:36
...Das Gefasel von der Unzuverlässigkeit des Gedächtnisses und der Unzulänglichkeit der Sprache spare ich mir, allein der berufsbedingt ununterdrückbare Impuls, dem Leben wie einem Roman zu Leibe zu rücken, die sich im Akt des Schreibens immer wieder einstellende, das Weiterleben enorm erleichternde, falsche und nur im Text richtige Vorstellung, die Fäden in der Hand zu halten und das seit langem bekannte un im Kopf ständig schon vor- und ausformulierte Ende selbst bestimmen und den tragischen Helden mit wohlgesetzten, naturnotwendigen, fröhlichen Worten in den Abgrund stürzen zu dürfen wie gewohnt -

Wer den Blog lesen möchte, beginnt hier:
http://www.wolfgang-herrndorf.de/2010/04/daemmerung/

Montag, 27. Januar 2014

Liebe und andere Parasiten von James Meek

Ich bin etwas ratlos: Begeisterte Kritiken von der FAZ (James Meek hat einen rasanten, zeitgenössisch moralischen Roman geschrieben, in dem Betrug und Liebe zwei konkurrierende Impfstoffe gegen die Sterblichkeit sind; http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/james-meek-liebe-und-andere-parasiten-wenn-unsere-e-mail-postfaecher-alle-kontakte-versenden-12550448.html) und der Zeit (Der britische Journalist stellt die großen Fragen nach Richtig und Falsch und nach Schuld und Sühne; http://www.zeit.de/angebote/buchtipp/meek/index), ich hingegen fand den Roman zu dick aufgetragen und zu ausschweifend erzählt.
Kurz: Der alternde Rockstar Ritchie Shepherd ist reich und erfolgreich und hat eine Affäre mit einer Minderjährigen, trotzdem, seine Familie ist ihm natürlich wahnsinnig wichtig und falsch findet er diese Beziehung auch nicht. Seine Schwester ist eine idealistische und erfolgreiche Wissenschaftlerin und meistens moralisch integer. Die grosse Frage nach Schuld und Sühne kommt durch die "Moral Foundation", eine Art Facebook für Sittenwächter unter der Leitung des Journalisten Val (früherer Geliebter von Ritchies Schwester). Verfehlungen von Prominenten werden ins Internet gestellt und publik gemacht. Zuvor werden die Betroffenen jedoch darüber informiert und ihnen wird die Gelegenheit gegeben, jemand anderen zu denunzieren, um die eigene Haut zu retten.
Etwas konstruiert das Ganze, oder, wie die Zeit schreibt: Die Mediensatire entwickelt sich zu einem Sittengemälde unserer Zeit.

Sonntag, 12. Januar 2014

Wir Tiere von Justin Torres

Atemlos und unerbittlich geschrieben, kann man sich dem Sog des Buches kaum entziehen, sobald man zu lesen begonnen hat. Es ist die Geschichte dreier Brüder aus Brooklyn, die mit ihrer weissen Mutter und ihrem Vater aus Puerto Rico in armen und instabilen Verhältnissen aufwachsen, die Eltern sind kaum älter als ihre Kinder. Es ist die Geschichte des ungestümen, wilden Erwachsenwerdens, des unbedingten Zusammenhalts der Brüder und der Liebe innerhalb einer Familie, trotz des Anderssein innerhalb des Gleichseins. Doch die Fragilität dieses Familienkonstrukts zeigt sich, als der Protagonist fällt und die Familie ihm kein Netz spannen kann, um ihn aufzufangen.
"Justin Torres - eine brillante, wilde, neue Stimme" Michael Cunningham