Montag, 24. Oktober 2011

Eine Frau flieht vor einer Nachricht von David Grossmann

Dieses Buch ist kein Lesestoff, es ist eine Aufgabe. Oras Sohn Ofer zieht in den Libanonkrieg und Ora flieht vor der schlechten Nachricht, vor den Soldaten, die plötzlich bei ihr läuten könnten und die Hiobsbotschaft überbringen könnten. Sie flieht auch vor dem Scherbenhaufen ihrer Familie, vor dem sie mit einem Mal steht. Auf ihrer langen Wanderung mit Avram, einem Freund der Familie, versucht Ora, die Vergangenheit zu analysieren und zu rekonstruieren, jedes Detail ihrer Lebensgeschichte wird ans Licht gezerrt, nochmals aus diesem anderen, neuen Blickwinkel betrachtet, gedreht und gewendet und die beiden versuchen, diese Lebensgeschichte, die gleichzeitig eine unentwirrbare Dreicksgeschichte ist -ihre Geschichte- wieder zusammenzusetzen. Siebenhundertachtundzwanzig Seiten hat dieses Buch, doch keine einzige Seite ist zu viel.

Montag, 5. September 2011

Die erste Liebe von Véronique Olmi

Empfehlenswert, wie überhaupt alle Bücher von Véronique Olmi. Es geht um eine Frau, deren drei Töchter aus dem Haus sind und die sich an ihrem 25. Hochzeitstag, als sie gerade das Abendessen für ihren Mann vorbereitet, Hals über Kopf auf den Weg zu ihrer ersten Liebe Dario macht, der scheinbar mit einer Zeitungsanzeige nach ihr sucht. Schön ist vor allem der erste Teil, in dem sie sich auf die Suche macht nach der verlorenen Zeit, wenn sie ihrer ersten Liebe nachspürt und merkt, dass sie der Massstab war für alle folgenden Lieben, wenn sie sich befreit von ihrer Familie und den Erwartungen, die an sie gestellt werden. Die Begegnung mit Dario ist dann natürlich anders als erwartet, etwas pathetisch und unglaubwürdig.  Trotzdem, die feine Selbstbeobachtung und Analyse der Protagonisin, die Beschreibung der teilweise skurrilen Begegnungen auf dieser Fahrt und der nüchterne Blick auf eine langjährige Ehe machen dieses Buch lesenswert.

Dienstag, 30. August 2011

Der Schwimmer von Zsuzsa Bánk

Zsuzsa Bánks Bücher sind wahre Entschleunigungsbücher, scheinbar passiert nichts, die Figuren warten  und beobachten, man braucht viel Geduld mit ihnen, letztendlich kommt dann auch der Tod nicht plötzlich, sondern langsam, auch auf ihn, den Tod, wartet man. Dieses Buch, Zsuzsa Bánks erster Roman, ist im typischen Stil geschrieben, viele Wiederholungen und "Aus-holungen", viele Umschreibungen und Beschreibungen von scheinbar unwichtigen Details.
Die Ich-Erzählerin und ihr Bruder wurden von der Mutter verlassen, welche in den Westen geflüchtet ist und nicht mehr zurückkommt. Der Vater zieht mit den Kindern umher, jeweils zu Verwandten, die sie dulden. Die Versuche der Geschwister, wieder eine kleine Heimat zu finden, sich einzupassen, scheitern an den jähen, vom Vater oder den Gastgebern vorgeschriebenen Abreisen. Eine Jugend, bei der es kein Ankommen gibt und kein Erwachsenwerden, nur ein Abwarten.

Freitag, 5. August 2011

Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer/ Zwei an einem Tag von David Nicholls

Urlaubsliteratur: Zwei amüsante Liebesgeschichten. "Zwei an einem Tag" ist die literarische Version von "Harry and Sally", Emma und Dexter werden nach einer kurzen Liebesnacht "gute Freunde", bevor sie schliesslich und endlich doch zueinander finden. Dexter ist der oberflächliche Schönling, der beim Fernsehen Karriere macht und zunehmend unsympathischer wird, Emma ist die bissige Intellektuelle, die etwas länger braucht, um in ihrem Leben Tritt zu fassen, dann aber umso erfolgreicher ist. Natürlich finden sie am Schluss zueinander. Die ersten 200-300 Seiten sind perfekte Sommerliteratur, leicht zu lesen, witzige Dialoge, ein bisschen Romantik. Das Buch auf 500 Seiten auszudehnen ist allerdings entschieden zu lang, am Schluss wird es zäh und die Witze konstruiert.
Da hat sich Daniel Glattauer kürzer gefasst, "Nordwind" hat nur 200 Seiten, es sind schnelle, überraschende, teilweise poetische Dialoge mit grossem Sprachwitz, die aus einer zufälligen E-mail Bekanntschaft entstehen und aus der sich die Liebe zwischen Emmi und Leo entwickelt. "Nordwind" ist ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man es mal angefangen hat. Man darf nur nicht den Fehler machen und den unvermeidlichen Nachfolgeband "Alle sieben Wellen" hinterherlesen, dort fehlt der leichte Witz und der Charme des Erstlings völlig.

Samstag, 16. Juli 2011

Sommer wie Winter von Judith W. Taschler

Ein Krimi und eine Milieustudie, ein Heimat- und ein Familienroman, raffiniert und spannend erzählt bis zum Schluss. Ein Pflegekind wird in eine Gastwirtsfamilie aufgenommen und im Rückblick - in der Form von Therapiegesprächen - wird die Geschichte dieses Kindes erzählt, das nie ganz zur Familie gehört hat und nie wirklich geliebt wurde. Man weiss, dass in der Vergangenheit etwas Schlimmes vorgefallen ist, aber die Auflösung der Geschichte erfährt man (wie bei einem guten Krimi) erst auf den letzten Seiten. Nebenbei erfährt man von der Verwandlung des Dorfes vom Bauerndorf zum Touristenort, den ersten Fremden, die versuchen, im Dorf heimisch zu werden und der Arbeit, die jedes Familienmitglied leisten muss. Also keine Luis Trenker Romantik, sondern eher das herbe Alpenleben, wie wir es uns nicht vorstellen wollen.

Dienstag, 12. Juli 2011

Ada liebt von Nicole Balschun

Ada, die lebensferne Intellektuelle, liebt von ganzem Herzen Bo, den Bauer. Und der lebensnahe Bo liebt von ganzem Herzen die blasse, seltsame Ada. Sie nähern sich an, sie ergänzen sich, sie lernen voneinander und haben eine wunderschöne Zeit zusammen, aber letztendlich sieht Ada keine Zukunft für diese Liebe. Die Sicht des Intellektuellen ist nun mal eine problemorientierte und die Beziehung einer Intellektuellen zu einem naturverbundenen, einfachen und unkomplizierten Mann scheint zum Scheitern verurteilt. "Bo war selbstverständlich, er kam aus den Feldern, er war richtig und hatte seinen Platz in seinem Leben und immer mehr auch in meinem, und er vereinnahmte mich mit dieser Selbstverständlichkeit...".

Montag, 27. Juni 2011

Twitteratur von Alexander Aciman und Emmett Rensin

Zwischen all der Problemliteratur ein kleines Amusement: Weltliteratur in 140 Zeichen. Die zwei Studenten der University of Chicago twittern die Inhalte der schönen Literatur, und das mit viel Liebe zum Detail und auf den Punkt gebracht. "Die Verwandlung" von Franz Kafka wird @bugged-out  geschrieben, vierter Eintrag: "Hab mich offenbar in einen  grossen Käfer verwandelt. Ist das einem von euch schon mal passiert? Netdoktor.de ist keine Hilfe." Das interessanteste ist das Glossar am Schluss für Oldtimer. FTW.

Montag, 20. Juni 2011

Zaïda von Anne Cuneo

Ein Schmöker für lange Regen- oder leichte Urlaubstage. Die Lebensgeschichte der Romanfigur Zaïda, die dreimal aus Liebe heiratet, sich als eine der ersten Ärztinnen einen Platz erkämpft und sich spät noch zur Psychoanalytikerin ausbildet ist ein perfektes Oma-Tanten-Bekannten Geburtstagsgeschenk. Man liest sich durch ein Jahrhundert mit all seinen Kriegen, seinen Zerstörungen und seinen gesellschaftlichen Normen, den politischen Umwälzungen und Strömungen, man leidet mit der Romanfigur und bewundert ihre Stärke. 

Mittwoch, 8. Juni 2011

Im Meer schwimmen Krokodile von Fabio Geda

Eine höchsttraumatische Kindheit, lakonisch und fast fröhlich dahererzählt, immer wieder unterbrochen von kurzen Fragen des Autors, um durch den Interviewcharakter die Leserschaft daran zu erinnern, dass hier eine wahre Geschichte aufgezeichnet wird. Es ist die Lebensgeschichte von Enaiatollah Akbaris, der mit zehn Jahren von seiner Mutter in Quetta, Pakistan, ausgesetzt wird und über den Iran, die Türkei und Griechenland schliesslich nach Italien kommt.
Warum faszinieren uns diese Lebensleidensgeschichten so? Ist es, weil so viel Schweres so leicht daherkommt, dass unser Leichtes, das wir zu tragen haben, nicht mehr erwähnenswert ist? Ist es, dass dieser eine Junge durchgekommen ist und deshalb dieser Eine ein ganz besonderer Mensch sein muss? Ist es das Erschauern vor einer fremden Welt, in der eine Schule geschlossen und der Lehrer erschossen wird, einfach, weil es die Taliban so beschlossen haben? Oder ist es das relativ gute Ende einer langen Odyssee?
Auf jeden Fall fasziniert dieses Buch.

Sonntag, 5. Juni 2011

Der Klang der Fremde von Kim Thúy

Die Kindheit in Vietnam der Protagonistin erfährt eine jähe Zäsur durch die abenteuerlich Flucht der Familie nach Kanada. Durch das Buch versucht die Autorin, die Fäden ihrer eigenen Biografie zusammenzuknüpfen: das Leben in Vietnam als Tochter aus gutem Hause, eingeschlossen hinter hohen Mauern; die Flucht unter hoher Lebensgefahr und das Leben als Flüchtling; und schliesslich das kalte Kanada mit seiner Gastfreundschaft, den wohlmeinenden Menschen und seiner fremden Kultur, welche der Familie eine neue Heimat anbietet. Das Buch ist sehr dicht geschrieben und sehr ausdrucksstark. Ein Bestseller, der es verdient hat!

Sonntag, 29. Mai 2011

Die Zeit der grünen Mandeln von Angelica Ammar

Ein tunesischer Familienvater, der emanzipierter ist als seine Tochter. Eine Tochter, die den Erwartungen des Vaters nicht gewachsen ist und sich, statt sich zu einer aufgeklärten und offenen Erwachsenen zu entwickeln, in einer Welt des Aberglaubens und des Nippes verirrt. Eine Familie, die aus zahlreichen Geschwistern, Tanten, Cousins und Cousinen besteht. Eine Jugend, die der Moderne entgegenblickt, aber doch noch zu stark den Traditionen verhaftet ist. Ein kleines Buch, das sich zu lesen lohnt.

Freitag, 27. Mai 2011

Die hellen Tage von Zsuzsa Bánk

In diesem Buch wird die Kindheitserinnerung zelebriert, die Leichtigkeit der hellen Tage und die grosse Freundschaft zwischen Aja, Therese und Karl, die -gerade so an der Grenze zum Kitsch- ins Erwachsenenleben gerettet wird. Zsuzsa Bánk hat einen sehr ausschmückenden Stil mit langen Sätzen und vielen Wiederholungen, was zum einen diese besondere Stimmung des Buches erzeugt, aber teilweise auch etwas langatmig ist. Es ist ein Buch der starken Mütter, welche trotz widriger Umstände durch Lügen und nicht-wissen-wollen die heile Welt ihrer Kinder schützen. Diese zweite Wahrheit, die die Protagonisten erst als Erwachsene und die Leser erst am Ende des Buches erfahren,  zeigt die grossen Risse der verklärten Zirkusromantik, und trotzdem -oder gerade deshalb- bleibt das schöne Gefühl von Heimat und Zusammenhalt - bei den Romanfiguren und beim Leser.
Wer sich an dem Vornamen Zigi nicht stört, kann dieses Buch lesen.

Donnerstag, 19. Mai 2011

The House of the Mosque von Kader Abdolah

Man muss sich einlassen, auf diese fremde Welt. Auf die Schahs und die Ajatollahs, auf die so ganz andere Einstellung dieser iranischen Familie, auf das langsame Hinplätschern der Geschichte am Anfang mit nur versteckten Andeutungen auf das sich zusammenbrauende Unheil der iranischen Revolution, das sich gegen Ende der Geschichte über die Familie legt. Jeder Charakter hat seinen unverrückbaren Platz in dieser Geschichte, welche, wie auf dem Klappentext zu lesen ist "informs, thrills and moves in equal measure".

Montag, 16. Mai 2011

Stadt der Diebe von David Benioff

Das Buch lebt vom Anders-Sein der Hauptcharaktere: Dem introvertierten, schüchternen Lew und dem fast aberwitzig lebenstüchtigen Kolja. Und obwohl es nicht das Thema ist (das Besorgen von Eiern in Zeiten des Krieges) und sicher nicht die erschreckende Brutalität, welche offensichtlich zum Krieg gehört und immer wieder in die Geschichte der beiden einbricht, zieht einen das Buch sofort in seinen Bann durch die Dreistigkeit und den Humor von Kolja und der verwundert-nachdenklichen Erzählweise Lews.
Bis zum Schluss eines der spannendsten Bücher der letzten Zeit.

Freitag, 13. Mai 2011

Herzzeit. Briefwechsel. Ingeborg Bachmann und Paul Celan


Obwohl das Buch unter "Sachbuch" einzuordnen ist, gibt es kaum ein Buch, in welchem Worte schöner um eine heimliche Liebe gewunden werden, die Dramatik eines Lebens erschütternder beschrieben ist. Im Briefwechsel von Paul Celan und Ingeborg Bachmann, den beiden bedeutendsten Dichter nach 1945, spiegelt sich das Künstlerleben in der Nachkriegszeit, überschattet von Deportation und Tod der Eltern Celans während des 2. Weltkrieges. Man hört die Stimme Ingeborg Bachmanns, die an Paul Celan glaubt und ihn bedingungslos unterstützt, und Paul Celan, der an sich verzweifelt und am Schluss den Freitod wählt.
Textauszug "Und, Ingeborg, das bisschen Dortgewesensein... Aber (auch hier): in dieser unserer Zeit wird geflogen - warum sollst nicht auch du fliegen, vielleicht erfliegst Du Dir dabei etwas, das ich, der ich nur ein paar gezählte Male hab einen Drachen steigen lassen, gar nicht sehen kann und es erst sehen werde, wenn Du's sichtbar gemacht hast?" ... "Lieber Paul, ich habe den Flug abgesagt.".

Mittwoch, 4. Mai 2011

Das Schönste, was ich sah von Asta Scheib

Meine längere Blogpause hing zusammen mit den Büchern, die ich gelesen habe, aber nicht wirklich erwähnenswert fand. Und ich bin mal wieder an Paul Auster gescheitert, dieses Mal schon auf Seite 10.
Die Biografie von Asta Scheib über Giovanni Segantini und seine Frau Luigia Bugatti ist jedoch lesenswert, allein schon wegen des Klappentexts: "Er malte sie, als sie fast noch ein Kind war. Er liebte sie, solange er lebte." Auch wenn man den Maler bisher nicht kannte (obwohl man ihn kennen sollte, zumindest hier in der Schweiz...) wird man durch das Buch neugierig auf sein Werk. Ein sehr interessantes Buch, allerdings erreicht es nicht das Niveau von Irving Stone: "Michelangelo", eine der besten und fesselndsten Künstlerbiografien, die je geschrieben wurden.

Donnerstag, 14. April 2011

Hinter dem Bahnhof von Arno Camenisch


Endlich: ein kleiner, funkelnder Juwel in der Schweizer Literaturszene! Prosaisch ist der Titel (Hinter dem Bahnhof), unspektakulär ist die Geschichte - und doch  steckt das kleine Büchlein voller Sprachpoesie und einer ganz eigenen Melodie durch die gekonnt eingesetzten rätoromanischen Mundarteinsprengsel. 
Das Buch beschreibt die Jugend zweier Brüder in einem Bergdorf, es erzählt vom Familienleben, von Geburt und Tod, den Dorfbewohnern, dem langen Winter, und wenn es weh tut, geht man zu Fraurorer. "Sie ist Samariter und malt mir mein Knie rot an, tut Flasters drauf mit Bildern oder macht Verbans. Kusch mora wider und denn luagamer, gell, Schätzli...Mein Mutter bringt ihr dann Kirschen aus dem Garten".

Samstag, 9. April 2011

Es geht uns gut von Arno Geiger

"Es geht uns gut" ist nicht ganz so gut wie es von den Kritikern belobt wurde (Deutscher Buchpreis für Arno Geiger). Auch hier wird eine Familie über drei Generationen portraitiert, doch ist Arno Geiger - quasi als österreichischer Jonathan Franzen- etwas langatmiger, etwas zusammenhangsloser, und auch etwas hoffnungsloser als Franzen. Das Buch ist nicht schlecht, aber etwas zäh. Da ist "Alles über Sally", ebenfalls von Geiger, unterhaltsamer zu lesen- zumindest für die Leserin als Frau in den "besten Jahren".

Montag, 4. April 2011

Wörterbücher (für Liebende)

Nach dem fulminanten Kick-off meines Blogs ; ) geht es unbeirrt weiter: Dieses Mal mit gleich zwei Wörterbücher für Liebende:
Xiaolu Guo: A Concise Chinese-English Dictionary For Lovers (deutscher Titel: Kleines Wörterbuch für Liebende) und David Levithan: The Lover's Dictionary (deutscher Titel: Das Wörterbuch der Liebenden). Beide erzählen anhand von (zufällig) ausgewählten Stichwörtern über Momentaufnahmen der Liebe.
Die Ich-Erzählerin bei Xiaolu Guo beschreibt -im holprigen und sehr amüsanten Sprachstil einer Chinesin, welche für einen Sprachkurs nach England gekommen ist- ihr grosses Staunen über die Europäer und ihre Lebensweise, und noch erstaunter schreibt sie über die grosse Liebe, welche sie in England findet -und auch wieder verliert. 
David Levithans Wörterbuch ist noch dichter gepackt, seine Stichwörter sind nach eigenen Aussagen zufällig ausgesucht und einer Liebesbeziehung zugeordnet. Noch selten wurde so kurz und intensiv -aber so schön!- über die Liebe und ihre Flüchtigkeit geschrieben.

Donnerstag, 24. März 2011

Freiheit von Jonathan Franzen

Etwas so ausschweifend auf den Punkt bringen: Das kann nur Jonathan Franzen. Ein ganz normales Leben einer Durchschnittsfrau auf über 700 Seiten so detailliert, so klarsichtig, so amüsant und so analytisch erzählen, dass man gerne nochmals 700 Seiten lesen würde, auch das kann nur Franzen. Erklären, warum Entscheidungen getroffen wurden und das vermeintliche Joch sich letztendlich doch durch eine freie Wahl zum Glück kehrt: Auch das kann nur Franzen. Sein neuer Roman "Freiheit" ist nochmals besser als "die Korrekturen", da die Charaktere nicht ganz so überzeichnet sind. Lohnt sich auf jeden Fall zu lesen!

Dienstag, 22. März 2011

Fliegengewicht von Anna-Elisabeth Mayer

Das ist Thomas Manns Zauberberg in Kurzform (!) mit Golden Girls Besetzung. Im schnellen Staccato der wörtlichen Rede wird das Leben und die Liebe sozusagen vom Endpunkt aus betrachtet und der Neuen -einem noch jungen Mädchen- erklärt. Das behandlungsbedürftige Herz steht im Mittelpunkt der Geschichte: Eine Ironisierung des Arztromans - Leseempfehlung!

Samstag, 29. Januar 2011

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche von Alina Bronsky

Das Buch ist eine Herausforderung. Es ist geschrieben aus der Erzählperspektive einer sehr resoluten, energiegeladen, hoffnungslos inkorrekten und masslos egozentrischen Grossmutter, welche die Fäden des Familiengeschicks in der Hand hält und durch ihr zweifelhaftes Engagement ihre Familie immer weiter ins Elend treibt. Man kann sich in keinem Moment mit ihr identifizieren, und man möchte das Buch eigentlich weglegen - und doch zieht es einen in seinen Bann durch den rasanten Erzählstil und den abgründig schwarzen Humor.
Der Humor ist in der Art: "Es soll Frauen geben, die bei einer solchen Nachricht in Tränen ausbrechen. Ihnen knicken die Beine ein, und dann lassen sie sich auf die Küchenfliesen mit Schachbrettmuster sinken, und andere Angehörige müssen grosse Schritte über sie machen, wenn sie zum Kühlschrank wollen. So eine war ich nicht."
Wer scharfe Gerichte essen mag, sollte das Buch lesen!

Sonntag, 23. Januar 2011

Überflieger von Malcolm Gladwell (Sachbuch)

Sachbücher sind eigentlich nicht so mein Ding, aber dieses Buch liest sich leicht und bietet interessante Denkanstösse: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Profiauswahl im Eishockey und dem Geburtsdatum der Spieler? Was hat die Bestellung der Reisfelder mit den Mathematik-Kenntnissen chinesischer Schüler zu tun? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen dem kulturellen Hintergrund einer Flugzeugbesatzung und Flugzeugabstürzen?
Die Thesen, welche Malcolm Gladwell aufstellt, sind nachdenkenswert. Einziger Kritikpunkt ist, dass er sehr ausschweifend schreibt und sehr viele Beispiele für die gleiche These aufführt. Im Prinzip würde jedesmal ein Beispiel reichen und man hätte verstanden, was er sagen will. Oder das nur als Überflieger???

Freitag, 21. Januar 2011

Dinge, die wir heute sagten von Judith Zander

Eine Frau stirbt, ihre Tochter kommt mit ihrer Familie aus England zur Beerdigung. Durch ihr Erscheinen in dem kleinen Dorf kommt ein Ereignis wieder ins Bewusstsein, das längst verdrängt wurde. Jeder hat damit zu tun und jeder hat eine Meinung dazu, was durch wechselnde Erzähler in wechselndem Sprachstil - auch Dialekt- dargestellt wird und erst langsam, gegen Ende des Buches,  erfährt man, was wirklich geschehen ist. Das Buch erinnert sehr an "Mutmassungen über Jakob" von Uwe Johnson: Es ist genauso mühsam zu lesen - aber ebenso grossartig!
Absolut empfehlenswert für Leser mit etwas Geduld!

Donnerstag, 20. Januar 2011

Tauben fliegen auf von Melinda Nadj Abonji

Ist die Geschichte der Ich-Erzählerin und ihrer Familie, welche aus der serbischen Vojvodina in die Schweiz zieht.
In - manchmal schnellem und verwirrendem Wechsel- wird erzählt: Zum einen von der naiv-glücklichen Zeit mit der Grossfamilie in der Vojvodina, zum anderen vom holprigen Versuch in der Schweiz eine neue Heimat zu finden und dem in Frage gestellten Funktionieren der auf sich geworfenen Kleinfamilie in der Schweiz.
Ausgezeichnet mit dem deutschen Buchpreis wird das Buch im Moment hochgelobt in der Schweiz, trotz des Spiegels, der den neuen Landsleuten vorgehalten wird.

Empfehlung: Nett zu lesen, vor allem für die, welche ebenfalls auf der Suche nach einer Heimat in der Schweiz sind.